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Channel: Lise-Meitner-Gymnasium, Königsbach-Stein
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Elfenjunge mit Sonnenbrille und Wolfskopf

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Wer in Island ein größeres Bauvorhaben plant, kommt an der “Elfenbeauftragten” nicht vorbei. Die Regierung bestellt eine elfenkundige Gutachterin, die prüft, ob Geländeformationen – Felsen oder Steine – von den Naturgeistern bewohnt werden. Elfen nämlich sind keineswegs immer freundlich oder harmlos. Sie können sich grausam rächen, wenn die Menschen ihre seit Jahrtausenden bewohnten Behausungen zerstören. Es passieren dann mysteriöse Unfälle, Bauherren und Bauarbeiter werden von Schicksalsschlägen heimgesucht. Um dem aus dem Weg zu gehen, hält sich die Baubehörde an die Gutachten der “Elfenbeauftragten”.
Ist das der Inhalt eines modernen Fantasy-Romans? Nein, weit gefehlt. “In Island glauben wirklich sehr viele Menschen an Elfen und übernatürliche Gestalten”, erzählt Nina Blazon. Sie muss es wissen, denn die Autorin hat wochenlang in Islands Hauptstadt Reykjavik gewohnt, um für ihr neues Jugendbuch zu recherchieren.

“Silfur – Die Nacht der silbernen Augen” heißt der Fantasy-Roman, den Nina Blazon nun den Sechstklässlern des Lise-Meitner-Gymnasiums vorstellte. Alljährlich veranstaltet die Fachschaft Deutsch des LMG eine Autorenlesung mit wechselnden Schriftstellern. Ziel ist es, die Neugier der Kinder auf Bücher zu erhalten oder zu wecken. Und dass dies mit der Lesung Nina Blazons durchaus gelungen ist, zeigte sich schon daran, dass die Schülerinnen und Schüler 90 Minuten fast mucksmäuschenstill der Lesung und den Erzählungen der 47-jährigen lauschten.
Ein Fantasy-Roman, der in Island spielt, handelt natürlich von Elfenwesen. Die Autorin bettete die Geschichte aber in eine durchaus realistische Rahmenhandlung: Fabio und Tom, zwei Jungs im Alter der Sechstklässler, verbringen mit ihren Eltern die Sommerferien in einem Haus in Reykjavik – bei Björg und ihrer Tochter Elin, “einem Mädchen, dünn wie eine Heuschrecke und ein bisschen schräg drauf”, wie die Autorin erzählt. Es dauert nicht lange, bis die ersten seltsamen Dinge passieren. Fabio hat es bisher nicht gewusst, dass er Wesen sehen kann, die ganz offensichtlich von anderen Menschen nicht wahrnehmbar sind. So begegnet er einem kleinen, weißgekleideten Jungen mit einer verspiegelten Sonnenbrille, der einen Wolfskopf als Helm trägt. Dieses Elfenwesen ist keinesfalls begeistert, dass es von Fabio gesehen werden kann. Als Fabio dann in einem Internetcafé die verspiegelte Sonnenbrille neben einem verwaisten Laptop liegen sieht, treibt ihn die Neugier. Er sieht auf dem Bildschirm eine Seite, die Facebook ähnelt. Ein rothaariger Junge, der einer Manga-Figur ähnelt, will sich offenbar mit dem Wolfsjungen am Konzerthaus “Harpa” verabreden. Als Fabio das Bild größerziehen will und die Tastatur berührt, durchzuckt es ihn wie ein Stromschlag und die Seite auf dem Laptop implodiert. Das Gerät ist kaputt. In diesem Moment kommt der Wolfsjunge ins Internetcafé, sieht das kaputte Laptop, schreit schrill vor Wut, sodass die Gläser im Café zerspringen. Keiner der Gäste kann sich das erklären, nur Fabio weiß, was passiert ist und dass er von nun an einen Feind hat, dessen Existenz er niemandem beweisen kann. Aber er braucht dringend Verstärkung. Sein Bruder Tom glaubt ihm natürlich nicht. Elin aber glaubt ihm sofort und so machen sie sich auf die Suche nach dem Wolfsjungen und nach der Antwort auf die Frage, warum gerade Fabio die Geisterwesen sehen kann…
Es war tatsächlich in einem Internetcafé in Reykjavik gewesen, in dem Nina Blazon plötzlich die Idee hatte, ein Buch über moderne Elfenwesen zu schreiben, die den Menschen ähneln, die im Internet und in sozialen Netzwerken unterwegs sind. Und die Autorin liest am LMG nicht nur aus ihrem Buch, sondern zeigt den Sechstklässlern auch Fotos von den Schauplätzen in Island, die in dem Roman eine Rolle spielen: beispielsweise von den bunten Häusern in der Hauptstadt, von denen viele aus Wellblech gebaut sind. “Sie haben alle ein eigenes Gespenst”, erzählt Blazon lachend. Sie zeigt ein Foto von Harpa, dem Konzerthaus, und von den Hraunfossar-Wasserfällen, in deren Nähe ein Reiterhof ist, zu dem Elin die Brüder Fabio und Tom hinführt. All diese Orte auf Island sind nicht erfunden, sondern lassen sich besichtigen, sogar das blaue Haus, in dem die Familie aus dem Roman ihre aufregenden Sommerferien verbringt.
Natürlich möchten die Schülerinnen und Schüler ganz viel von Nina Blazon wissen: Wie lange dauert es, ein Buch zu schreiben? Glauben die Menschen in Island wirklich an Elfen? Schreiben Sie schon an einem neuen Roman? Geduldig und überaus freundlich antwortet die Wahl-Stuttgarterin, die als kleines Kind mit ihren Eltern aus Slowenien zunächst nach Bayern zog, Germanistik und Slavistik studierte und als Journalistin und Werbetexterin arbeitete, bevor sie sich an Fantasy-Bücher heranwagte. Etwa eineinhalb Jahre dauert es, bis ein Buch – von der Idee bis zur Auslieferung in die Buchhandlungen – fertig ist. “Die reine Schreibzeit beträgt nur ungefähr drei Monate”, erzählt sie. Rund 30 Bücher hat sie bisher geschrieben, ein neues entsteht gerade. Die Handlung spielt in Deutschland, mehr darf und will Nina Blazon nicht verraten. Für jedes ihrer Bücher – Fantasy- oder Historien-Romane und Krimis – sucht sie einen neuen Schauplatz. Aber vielleicht wird es irgendwann einmal wieder Island sein. Denn das Repertoire an Mythen und Märchen, das die Elfen auf der Insel bieten, ist schier unerschöpflich. “Die Menschen hier”, betont Nina Blazon, “leben ganz selbstverständlich mit den Geistererscheinungen”.
Antje Maisch


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